Lynch-Syndrom - DocCheck Flexikon (2024)

nach Henry T. Lynch (1928-2019), amerikanischer Chirurg
Synonyme: hereditäres nicht-Polyposis-assoziiertes kolorektales Karzinom, hereditäres nichtpolypöses kolorektales Karzinom, familiäres Krebssyndrom
Abkürzung: HNPCC, CFS
Englisch: hereditary non-polyposis colorectal cancer, cancer family syndrome

Inhaltsverzeichnis

  • 1 Definition
  • 2 Terminologie
  • 3 Epidemiologie
  • 4 Ätiologie
  • 5 Klinik
  • 6 Diagnostik
    • 6.1 Amsterdam-II-Kriterien
    • 6.2 Revidierte Bethesda-Kriterien
    • 6.3 Weiterführene Diagnostik
  • 7 Vorsorge
  • 8 Therapie
  • 9 Quellen

Definition

Das Lynch-Syndrom ist eine autosomal-dominant vererbte Erkrankung, die mit einem erhöhten Risiko für frühzeitig auftretende kolorektale Karzinome und weitere Tumorerkrankungen einhergeht.

Terminologie

In der Fachliteratur wird häufig zwischen dem Begriff HNPCC und dem Begriff des Lynch-Syndroms differenziert. Bei letzterem ist der Nachweis einer Keimbahnmutation obligat, während bei dem Begriff HNPCC zunächst nur die entsprechenden anamnestischen Kriterien erfüllt sein müssen.Nichtsdestotrotz werden beide Begriffe im klinischen Alltag häufig synonym verwendet.

Epidemiologie

Das Lynch-Syndrom ist mit einem Anteil von etwa 5% aller Darmkrebserkrankungen die häufigste genetische Tumorerkrankung des Colons. Es betrifft Männer und Frauen zu etwa gleichen Anteilen. In Deutschland werden jährlich etwa 2.000 Neuerkrankungen diagnostiziert.

Die Penetranz des Lynch-Syndroms wird mit etwa 80% angegeben, das heißt, 20% der Träger des Gendefekts bleiben gesund, können die Mutation aber an die Nachkommenschaft weitergeben.

Ätiologie

Das Lynch-Syndrom ist auf molekularbiologischer Ebene durch einen Defekt der Basenmismatch-Reparatur gekennzeichnet. Dieser Reparaturmechanismus sorgt dafür, dass bei Fehlpaarungen von Nukleinbasen die falsche Base aus dem nicht-methylierten Tochterstrang ausgeschnitten und ersetzt wird. In diesen Mechanismus sind eine Reihe von Proteinen involviert, die als Tumorsuppressorgene fungieren.

Beim Lynch-Syndrom können alle Gene, die für Reparaturproteine codieren, mutiert sein. Ganz überwiegend sind die Gene MSH2 und MLH1 betroffen. Mutationen in weiteren Genen (PMS1, PMS2, MSH6) sind in Einzelfällen beschrieben.

Durch fehlende Reparatur von Basenfehlpaarungen kommt es zur Anhäufung von Mutationen mit der Folge der Entstehung eines Tumorzellklons. In den Tumorzellen zeigt sich eine Verlängerung der DNA durch repetitive DNA-Sequenzen (Mikrosatelliten), die sich dadurch deutlich von der DNA gesunder Zellen unterscheidet. Diese Abweichung der Anzahl der Mikrosatelliten bezeichnet man als Mikrosatelliteninstabilität.

Klinik

Typisch für das Lynch-Syndrom ist das Auftreten von kolorektalen Karzinomen (gehäuft im rechten Hemikolon) in jungen Jahren. Zudem besteht ein deutlich erhöhtes Risiko für weitere Tumorerkrankungen, dazu gehören:

  • Endometriumkarzinom
  • Ovarialkarzinom
  • Dünndarmkarzinom
  • Magenkarzinom
  • Urothelkarzinom
  • Gallengangskarzinom
  • Pankreaskarzinom
  • Hirntumoren
  • Hauttumoren (Muir-Torre-Syndrom)

Diagnostik

Die Diagnose eines Lynch-Syndroms erfolgt vorwiegend aufgrund der klinischen Befunde. Bei bestehendem Verdacht auf eine erbliche Tumorerkrankung werden molekularbiologische und humangenetische Untersuchungen zur Sicherung der Diagnose angeschlossen.

Die klinische Diagnostik verläuft in mehreren Stufen:

Amsterdam-II-Kriterien

Zunächst liefern die Amsterdam-II-Kriterien einen Anamnese-Leitfaden: [1]

  • Anamnestisch mindestens drei Familienangehörige mit nachgewiesenen HNPCC-assoziierten Karzinomen oder gesicherten kolorektalen Karzinomen
  • Auftreten der Erkrankung in mindestens zwei aufeinander folgenden Generationen
  • Ein betroffenes Familienmitglied ist mit den anderen beiden erstgradig verwandt
  • Auftreten der Erkrankung bei mindestens einem Verwandten vor dem 50. Lebensjahr
  • Eine familiäre adenomatöse Polyposis (FAP) ist ausgeschlossen

Sind alle Kriterien erfüllt, sollten weiterführende Untersuchungen direkt angeschlossen werden.

Revidierte Bethesda-Kriterien

Die revidierten Bethesda-Kriterien kommen zum Tragen, wenn nicht alle Amsterdam-II-Kriterien erfüllt sind: [2]

  • Gesichertes kolorektales Karzinom vor dem 50. Lebensjahr
  • Synchrone oder metachrone HNPCC-assoziierte Tumoren
  • Kolorektales Karzinom mit "MSI-H-Histologie" (lymphozytäre Infiltration, muzinöse/ siegelringartige Differenzierung bzw. medulläres Wachstum) vor dem 60. Lebens­jahr
  • Kolorektales Karzinom (altersunabhängig) + ein erstgradiger Verwandter mit kolorektalem Karzinom oder HNPCC-assoziiertem Tumor vor dem 50. Lebensjahr
  • Kolorektales Karzinom (altersunabhängig) + mindestens zwei Ver­wandte 1. oder 2. Grades mit kolorektalem Karzinom oder HNPCC-assoziiertem Tumor (altersunabhängig)

Wird hier mindestens ein Kriterium erfüllt, sollten im Anschluss weiterführende Untersuchungen erfolgen.

Weiterführene Diagnostik

  • Molekularpathologische Untersuchung des Tumorgewebes: Mikrosatelliteninstabilität, Immunhistochemie
  • Molekulargenetische Untersuchung von Blut: Mutationsanalyse (MSH2, MLH1, PMS1, PMS2, MSH6)

Vorsorge

Personen mit einem bestehenden familiären Risiko für das Lynch-Syndrom sollte ab dem 18. Lebensjahr eine genetische Beratung angeboten werden. Im Gegensatz zu anderen erblichen Darmkrebserkrankungen sieht man beim Lynch-Syndrom eine verkürzte Adenom-Karzinom-Sequenz, sodass bereits kleine Adenome ein Entartungspotential haben. Deswegen sollten ab dem 25. Lebensjahr (bzw. fünf Jahre vor dem frühesten Erkrankungsalter in der Familie) jährlich eine Koloskopie durchgeführt werden. Ebenso ist für Frauen eine jährliche gynäkologische Untersuchung mit vagin*lem Ultraschall empfohlen. Zusätzlich ist ab dem 35. Lebensjahr jährlich eine Ösophago-Gastro-Duodenoskopie und für Frauen eine Endometriumbiopsie indiziert.

Einzelne Studien deuten darauf hin, dass ASS in der Dosis 600 mg pro Tag bei langfristiger Einnahme das Auftreten kolorektaler Karzinome verringert. Eine solche medikamentöse Prophylaxe steht jedoch lediglich als Off-Label-Use zur Verfügung und wird von den Fachgesellschaften aktuell (2022) nicht empfohlen.[3]

Therapie

Die Therapie besteht in der frühzeitigen kompletten chirurgischen Tumorentfernung mit regelmäßiger Tumornachsorge. Bei ausgedehnten Tumorleiden wird zusätzlich eine Chemotherapie angeschlossen.

Einen relativ neuen (2022) Therapieansatz zur Behandlung von kolorektalen Karzinomen mit Mismatch-Reparatur-Defizienz stellen PD-1-Hemmer dar. In einer kleinen klinischen Studie mit 12 therapienaiven Patienten konnte mit Dostarlimab bei allen Patienten eine vollständige Remission erreicht werden.[4]

Lynch-Syndrom - DocCheck Flexikon (2024)
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